Ein Sinneserlebnis auf allen Ebenen

Einen derart großen BesucherInnenansturm hat das MZM Museumszentrum Mistelbach schon lange nicht mehr erlebt. Anlass war die Eröffnung der großen „Hermann Nitsch: Sinne und Sein Retrospektive“.

Unter den zahlreich erschienenen Festgästen reihten sich DirektorInnen nationaler und internationaler Museen sowie KunstsammlerInnen aus aller Welt nebeneinander. An der Spitze der Ehrengäste stand Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll, der die Retrospektive feierlich eröffnete. Die BesucherInnen erlebten mit allen fünf Sinnen eine spektakuläre Gesamtinszenierung mit rund 100 Beteiligten und zwei parallel stattfindenden Schüttaktionen an den Stirnwänden der Haupthalle sowie erstmals zeitgleiche Lehraktionen und musikalische Interventionen in Form einer Gesamtperformance.

Zur Ausstellung:
Das nitsch museum würdigt anlässlich des 75. Geburtstages des Aktionskünstlers Hermann Nitsch das Lebenswerk in Form einer umfassenden Retrospektive, die allen Ebenen seines künstlerischen Gesamtwerkes Raum bietet. Im Sinne des Credos von Hermann Nitschs „Meine Arbeit soll eine Schule des Lebens, der Wahrnehmung und der Empfindung sein und mit allen fünf Sinnen erfahren werden“, widmet sich die Ausstellung „Hermann Nitsch – Sinne und Sein Retrospektive“ in ihrer Konzeption erstmals zusätzlich zur Ausstellung von Werken aus sechs Dekaden der Einbeziehung interaktiver Präsentationsmethoden. „Diese Retrospektive wird anders sein, als alle anderen die vorher waren und nachher kommen werden, die mit zeitgemäßen Schwerpunktbildern versehen ist!“ Vielmehr wollte der Künstler gar nicht sagen, „entweder man kapiert meine Kunst, oder man kapiert sie nicht!“

„Das sinnliche Erleben steht hier im Mittelpunkt“
, erklärte Mag. Michael Karrer, MBA, Gesamtleiter des nitsch museum. Die fünf Sinne haben in Nitschs Gesamtkunstwerk, in dessen Zentrum seit den späten 1950er Jahren das Orgien Mysterien Theater steht, seit jeher einen großen Stellenwert. „Nitsch beschäftigte sich immer schon mit der Metaphysik, der Seinsphilosophie. Diesem Umstand versucht die Retrospektive in jeder Form gerecht zu werden, mit einer chronologischen Werkschau aus sechs Jahrzehnten mit zeitgemäßen, multimedialen und technischen Instrumenten“, so Mag. Karrer. Auf inhaltlicher Ebene wird der Bedeutung der Sinne im Gesamtwerk durch Werkauswahl, Ausstellungshängung und Ausstellungsarchitektur nachgegangen, darüber hinaus ermöglichen interaktive Schwerpunkte den AusstellungsbesucherInnen besondere Sinneserfahrungen. Durch Schütt- und weiteren Aktionen wird die Ausstellung während der gesamten Dauer so immer weiter wachsen.

Gang durch die Ausstellung:
Zu Beginn der Ausstellung, im Chorraum, stößt der Besucher/die Besucherin auf seinsphilosophische Zitate. Nachdem man von dort die fünf Tore, die für die fünf Sinne des Lebens stehen, durchschritten hat, befindet man sich im Hauptschiff. Dort sind viele frühere Arbeiten wie Schüttbilder, Relikte, Objektkästen, Schreine, Taschentücher und vieles mehr zu sehen. Ebenso kann der Besucher/die Besucherin das erste mit Blut gemalte Bild des Künstlers sehen. Weiter im Seitenschiff findet sich eine biografische Timeline auf 36 Laufmetern, die durch das künstlerische Schaffen von Hermann Nitsch führt. Die Krypta selbst wurde bewusst unverändert gelassen.

Die Kapelle fungiert als raumgreifende Installation mit dem Titel „Brot und Wein“. Das mediengestützte Eintauchen in das Kunstschaffen von Hermann Nitsch erschafft eine neue Dimension der Betrachtung. Die Installationen dieses Raumes kreisen allesamt rund um das Thema des von Hermann Nitsch 1960 erschaffenen Werkes „Brot und Wein“. Das Ars Electronica Futurelab hat für die Installation eine Großbildprojektion entwickelt, die auf neuartige Weise in das Werk des Hermann Nitsch einführt. Die Installation gewährt Einblicke in vom Künstler ausgewählte Arbeiten, die über die reale Größe der tatsächlichen Kunstwerke hinausgehen. Gezeigt wird jeweils eine Projektion im Panoramaformat, die die gesamte Wandfläche ausfüllt. Über einen berührungssensitiven Bildschirm, der für die BesucherInnen intuitiv zu bedienen ist, können die Großbildprojektionen gesteuert werden und stellen eine frei erkundbare Oberfläche dar, die das Kunstwerk individuell erfahrbar macht. Details und Strukturen, die dem bloßen Auge auch bei eingehender Betrachtung verborgen bleiben, können mithilfe der Projektion in Überlebensgröße entdeckt und erlebt werden.

Hermann Nitsch:
Eine große Ehre wurde Hermann Nitsch zu Teil, als Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll, selbst bekennender Nitsch-Fan, die Ausstellung eröffnete. „Mich fasziniert Hermann Nitsch, weil er geradlinig durch das Leben geht, obwohl er unglaublichen Angriffen ausgesetzt ist, vor allem von jenen Menschen, die ihn nicht kennen und damit verkennen“, betonte der Landeshauptmann. „Es ist die Aufgabe der Kulturpolitik Niederösterreichs, dem Künstler einen gewissen Freiraum zu geben, dass er sich entwickeln kann und damit auch der Gesellschaft die Chance geben kann, sich mit dem Künstler und dem Zeitgeist auseinander zu setzen. In Niederösterreich wird die Freiheit der Kunst und Kultur gelebt und praktiziert. Das Mistelbacher Museum ist daher der beste Beweis, dass ein Museum auch für einen lebenden Künstler eine Chance ist, sie in den Vordergrund zu rücken“, ergänzte der Landeshauptmann.